Armer Ritter?! Denkste!

Blut tropft von meiner Kleidung. Fleisch klebt mir im Gesicht, in den Haaren und hängt in Fetzen an meiner Kleidung. Ich höre Stimmen – ganz leise. Zu leise um auch nur ein Wort zu verstehen. Auf dem Fußboden liegen Knochen und Fleischreste. Blutlachen spiegeln verzerrt meine Erscheinung. Ich erschrecke. Meine Kleidung ist von vollends Blut getränkt – die ursprüngliche Farbe ist nicht mehr zu erkennen. Meine Augen sehen sehr müde aus – genauso erschöpft fühle ich mich aber auch. Ich lasse die letzten 10 Stunden Revue passieren. Ich erschrecke bei dem Gedanken, wie kalt mich das alles gelassen hat und wie sehr ich mich jedesmal über das warme Fleisch in meiner Hand gefreut habe, wenn es mich gefröstelt hat. Ich schlürfe vollkommen kraftlos aus dem Raum. Ich wasche meine Kleidung und entsorge die Teile, die ich nicht mehr sauber bekomme. Kein Geruch haftet an mir – oder ich nehme ihn einfach nicht wahr… ich weiß es nicht. Langsam keimt in mir ein neues Gefühl auf – Erleichterung! Ich habe es geschafft und kann mich nun erstmal zurück lehnen. Am Abend sollte auch noch eine warme Dusche auf mich warten. Auf dem Heimweg fliegt die Landschaft an mir vorbei – die Bilder in meinem Kopf beginnen sich allmählich zu ordnen. Mir schießt ein spöttisches Sprichwort durch den Kopf und ich erkenne, wie viel Wahrheit doch eigentlich darin steckt: „Erstens kommt immer alles anders und zweitens, als man denkt.“

Die Dinge hier in Hawera haben sich enorm verändert. Aber ich sollte ganz von vorn beginnen. Nachdem wir ein wunderbares Essen bei unserer Gastfamilie genießen durften, wuchs der Kontakt zwischen uns stetig. Davon profitierten dann auch die Beziehungen zu den Angestellten der Farm, so dass uns eines Tages Kekse mitgebracht wurden, wir kostenlos Eier und Speck erhielten, kostenlos Internet nutzen durften und hier und da zum Tee eingeladen wurden, inzwischen waren wir sogar schon bei Angestellten zum Abendbrot – jeder wusste, dass wir vollkommen ausgebrannt waren und unterstütze uns sehr herzlich. Leute, die uns erst eine Woche kannten, wollten uns Geld borgen (damit wir tanken können) und suchten mit uns nach neuen Jobs. Wir klapperten Blumenläden, Gartencenter und Privathäuser ab, in der Hoffnung einen Job als Blumenpflücker zu erhalten oder zumindest eine neue Idee oder Adresse für andere saisonbedingte Jobs zu erhaschen. Viele Anwohner und/oder Firmen boten ihre Hilfe an, obwohl sie uns nicht helfen konnten – unsere Situation schien festgefahren.

Trotz dessen, wurden wir oft unterhalten bzw. beschäftigt. Wir wurden Zeugen eines weiteren Homekills (Hausschlachtung). Unsere Farmgastgeber haben auch noch einige Tiere auf ihren Weiden und vor Weihnachten sollten noch der Bulle und sowie zwei frisch gebackene „Eltern“-Schafe das Zeitliche segnen. Die Schlachtung verlief diesmal weniger respektvoll. Der Schlachter –von Mary als zweiter Hannibal Lektor bezeichnet (Kannibale in „Das Schweigen der Lämmer“)- sah seinen Beruf als reines Handwerk und ging mit wesentlich weniger Sensibilität ans Werk. Und wahrscheinlich war es dieses grobe Handwerk an dem Bullen, was die Schafe durchdrehen ließ. Dass die Weide von einem Zaun begrenzt war störte weder die ausgewachsenen Fellknäule noch die Lämmer. Die sehr behäbig wirkenden Tiere legten urplötzlich eine Dynamik an den Tag und segelten durch die Luft bzw. durch den Zaun, so dass jegliche menschliche Reaktion rein gar nichts verhindern konnte – Die Schafe waren ausgebrochen. Und damit fing der Spaß an. Die nächste Stunde opferten wir rennend und teilweise auch lachend der Schafsjagd. Dabei stellten wir erstaunt fest, dass diese verdammten Biester – so klein sie auch sein mögen und so dick sie auch aussehen – die Superkräfte von Superman besitzen und dadurch mit unglaublicher Geschwindigkeit rennen können und mit nie gesehener Leichtigkeit vom Erdboden abheben. Nicht nur, dass ein Lamm mir beinahe ins Gesicht gesprungen wäre als ich ihm breitbeinig und mit ausgestreckten Armen den Fluchtweg blockieren wollte, (Ich musste mir eingestehen, dass ich zwar aussehe, wie ein professioneller Torwart, aber in keinster Weise diesem Job gewachsen bin) NEIN, diese Dinger springen auch einfach mal über 2 Kälber die im Weg stehen – wohl gemerkt über beide auf ein Mal. Da guckt man dann nicht schlecht.

Letzten Endes haben wir sie aber nach einer Jagd über das Spargelfeld und durch den hauseigenen Sumpf zurück auf eine Weide bringen können. Alle ausgewählten Tiere wurden dann auch fachmännisch geschlachtet.

Weitere Unterhaltung fanden wir dann Tage drauf auf dem Spargelfeld, als wir auf Grund fehlender Erntehelfer 9 Stunden am Stück unter brütender Sonne Spargel pflückten. Die Unterhaltung sahen wir in den zitternden Knien und den ächzenden Lauten beim Bücken. „Think positiv“, lautete meine Devise. Leider konnte ich sie nicht ganz bis zum Ende durchhalten und fluchte nur noch über diese Form der Unterhaltung. Wer das nicht ganz nachvollziehen kann, soll sich mal bitte im nächsten Sommer auf eine Wiese stellen und 9 Stunden Kniebeuge machen – Mittags- und Kaffeepause (jeweils eine) sind dabei erlaubt. Ich wünsche viel Spaß bei diesem Test.

Doch auf dem Spargelfeld erfährt man viel – Nützliches aber auch Unnützliches. Unnützlich sind zum Beispiel die örtlichen Highschoolkinder, die am Wochenende ihr Taschengeld aufbessern, in dem sie bei der Spargelernte „helfen“. Das Helfen sieht dabei wie folgt aus: Wir veranstalten ein Wettrennen, sammeln dabei so viel wie möglich dicken, guten Spargel und lassen alles Unbrauchbare (Stümpfe abgeschnittener Spargelpflanzen, zu dünnen Spargel, zu sehr gekeimter Spargel oder falsch gewachsener Spargel) für die anderen zurück, die sich am übernächsten Tag dumm und dämlich schneiden, weil das „Unbrauchbare“ vom Feld muss. Das interessiert ja nicht, denn als Highschoolkind bin ich nur am Wochenende zu Gange und muss mich nicht am nächsten Erntetag mit dem verhunzten Feld rumquälen. AAAARGGG – an dieser Stelle platzt selbst mir in meiner unermüdlichen Gute-Kiwi-Laune der Kragen…

Aber dann gibt es ja da auch noch die Nützlichen Dinge. Arbeitsinfos in diesem Fall. In Eltham, einem benachbarten Ort, gibt es eine weitere Fleischfabrik. Geschult durch den Misserfolg bei der letzten Bewerbung machten wir ausnahmsweise mal alles richtig und kamen nach einer Stunde Wartezeit schon zum Produktionschef. Vorstellungsgespräch… Ja, etwas unvorbereitet stellten wir uns dieser Herausforderung und sehr überrascht. Die alles entscheidende Frage war doch etwas zu merkwürdig: „Habt ihr schon einmal ein Messer benutzt?“ Ähm – ganz ehrlich, seh‘ ich wirklich sooo bescheuert aus? Als er unsere verdutzten Gesichter sah, wollte er die Frage dann noch etwas heraus reißen. Aber selbst der Hinweis, dass es tatsächlich Menschen gibt, die sich in einer Fleischfabrik bewerben, aber das Messer maximal zum Stulle schmieren verwendet haben, konnte mir die Verwunderung nicht aus dem Gesicht treiben. Die Antwort, dass ich gerne koche und dadurch zwangsläufig auch mal Fleisch schneiden muss, hat ihn aber sofort von unserer Brauchbarkeit überzeugt und er versprach uns am selben Tag oder am nächsten Morgen zwecks Terminabsprache zurück zu rufen. Wunderbar.

Am nächsten Morgen 9.00 Uhr klingelte das Telefon und mir wurde der Termin für den Doktor genannt. Bevor wir bei Riverlands – so der Name der ominösen Fleischfabrik – anfangen können, müssen wir noch den Medical Test mitsamt Drogentest bestehen. Alles easy – selbst die „Und-jetzt-mal-bitte-kräftig-husten“-Untersuchung haben wir ohne mit der Wimper zu zucken bestanden. Leider ließen die Ergebnisse des Drogentest zu lange auf sich warten, so dass wir am letzten Dienstag umsonst zeitig aufgestanden sind, aber auf Grund unseres Arbeitseifers bei allen Supervisors (Vorgesetzten) einen Stein im Brett hatten. Um zehn Uhr fing unser erster Arbeitstag dann auch endlich an. Während der Pausen bemerkten wir, dass wir etwas essentiell Wichtiges vergessen hatten: Essen! Naja, der erste Tag wurde dann auch irgendwie überstanden – ich konnte mich an meiner Packmaschine zwar genauso schwer konzentrieren, wie Mary am Fließband, aber der Tag war geschafft. Da Fließbandarbeit für uns beide vollkommenes Neuland war mussten wir erst einmal mit dem damit verbunden Druck zu recht kommen. In diversen Situationen nicht der Panik zu verfallen grenzt schon an echte Kiwi-Gelassenheit. Der zweite Tag brachte uns beiden aber dann wesentlich mehr Routine und Freunde, so dass wir der Arbeit optimistischer entgegen sahen. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten wir beide nur annähernd was in den hinteren Räumen der Fleischfabrik passierte. Da ich am darauf folgenden Tag versetzt wurde und wegen Personalmangels in einer fremden Abteilung arbeiten musste, konnte ich ganz schnell erkennen, dass die Übersetzung „Fleischfabrik“ viel zu gutmütig war. „Schlachthaus“ – war die einzig treffende Beschreibung. Im Boner-Room (Knochen-Raum) wird die Kuh, bzw. der Bulle in die wichtigsten Bestandteile zerlegt. Dabei wird gesägt und geschnitten, was das Zeug hält. Fleisch, Knochen und Knochen mit Fleisch werden durch die Gegend geworfen… Unbeschreiblich. Ich bin nicht empfindlich, was rohes Fleisch oder den Schlachtungsprozess angeht, aber zum allerersten Mal hatte ich nach dem Mittag ein flaues Gefühl im Magen. Mir wurde bewusst, warum die Mitarbeiter waren, wie sie waren und warum uns ständig dieses Knastgefühl beschlich… Tätowiert, Arme aus Stahl und grimmige Gesichter – das sind unsere Arbeitskollegen. Die Pausenräume und Umkleiden lassen nichts anderes als Knast vermuten und die Arbeitsatmosphäre erinnert mit rhythmischen Trommeleinlagen sowie tiefen Männerchören manchmal an vergangene Sklavenzeiten. Nichts desto Trotz sind alle Kollegen sehr freundlich – selbst wenn sie einen echten Sprung in der Schüssel haben. So kam es, dass unser direkter Vorgesetzter uns zum Angeln einlud, bzw. mich zum Angeln und Mary dazu etwas mit seiner Freundin zu machen… Hihi!

Mir wurde die Tage dann auch meiner neuer und wahrscheinlich finaler Arbeitsplatz erklärt – ich werde die Hinterbeine der Kühe und Bullen mit einer Bandsäge zerschneiden. Die ersten Tage dachte ich ja noch, dass ich dafür diese tolle Ritterrüstung bekomme (Metallharnisch und –handschuhe), aber meine ersten Arbeiten waren dann selbsterklärend, warum das eigentlich unnötig ist – die Säge geht einfach durch alles. Tolle Wurst!

Den dritten und vierten Tag verbrachte ich dann jeweils 10 Stunden mit Tragen, Rennen, Springen und Werfen von Rippen, Vorderbeinen und Dingen, die ich noch nicht identifizieren kann. Da alles, was ich anfasse ca. 5 bis 15 kg schwer ist, verwundert es mich nicht, dass ich ersten schon nach einer Woche sehen kann, wie meine Arme anfangen Muskeln zu bilden, zweitens wie es zu dem Muskelkater in der Handfläche und an den Fußsohlen kommt und drittens, dass wir 4 Tage arbeiten und dann 4 Tage frei haben. Aber ich glaube wir haben eine sehr gute Arbeit gefunden – wir verdienen ordentlich Geld (ich kann nach 4 Monaten wahrscheinlich alle Kredite zurück zahlen), haben Zeit die Gegend zu erkunden und ich trainiere weiterhin meinen Körper. Dass ich dabei anfangs Erwähntes erlebe und fühle nehme ich gerne in Kauf.

So – ich geh jetzt Abendbrot essen und freue mich über viele neue Kommentare.

Zur Spendenaktion: Kommt sicher noch, ist dann für unsere Erlebnistour auf der Südinsel – Bezahl- und Bewertungssystem sind in Arbeit – wird ganz unkompliziert ;-)

T-Shirts gibt es nach wie vor für lustige 19 € und es gibt auch bald wieder neue tolle Bilder – versprochen!

11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Servus Willi du alter Schlechter...
Ich hatte ja schon nach deinem ersten ausführlichen Bericht und den Bildern zum "zerlegen" der Kuh das Gefühl, dass das genau dein Ding ist! *g* Find ich gut, dass du mein Gefühl durch deinen neuen Bericht bestärkst. Ich wünsche Dir/ Euch weiterhin viel Spass und freue mich schon auf die nächsten "Blog-Einträge".

Grüße sthu

Anonym hat gesagt…

servus!

freut mich, dass du jetzt endlich n richtigen job gefunden hat.

ich wünsch euch, dass ihr weiterhin so nette kollegen habt und lange am ball bleibt =)

LG
rene, der ab montag hoffentlich im schäfchenshirt unterwegs ist =)

Anonym hat gesagt…

schlichter schlanker schlächtersohn
schlachtet scheue schafe schon?
schöne schlachter-schweinerei,
was empfindet mann dabei?
wer kein vegetarier-mann,
dein´bericht auch lesen kann.
bleib ruhig noch paar wochen da,
denn du kannst das.gruß mama!

Anonym hat gesagt…

achduschreck...

ich lese das mit grauen. as weißt du sicher... nicht die sache mit den dicken armmuckis, sondern die mit den dicken fleischbergen. aber ich les es! und drüke die däumchen, dass jetzt etwas regelmäßigkeit in dein leben und eure finanzen kommt.

könntest du die spenden-hotline nochmal mitteilen?

beste grüße, anke die-die-augen-von-kälbern-so-süß-findet Lenzer

Gerhard Koepke hat gesagt…

So lange es irgendwie Spass macht und Geld bringt, erträgt man viel. Und am Ende kommst du als tattoowierter Muskelmann zurück...passt doch. :D

Grüße, auch von meiner Dame.

Anonym hat gesagt…

Das Oberschaf jagd Schäfchen... ;D
Man liest gerne, dass es finanziell wieder bzw. bald wieder etwas besser läuft.

Pass beim Zerhäckseln auf dich auf.
Immerhin nützen dir durchtrainierte aber abgetrennte Arme herzlich wenig. ;)

Greetas!

Anonym hat gesagt…

Gemüse ist mein Fleisch...;)
lg julius

Anonym hat gesagt…

hey willi,

ich hab lange gebraucht - hatte nämlich schon wieder vergessen, wo man hier die kommentare hinterlässt :-)

also, ich wollt hiermit nur sagen, dass ich immer ganz fleißig lese, hab ja hier sonst nicht wirklich was zu tun ;-)

komm bitte bald wieder und pass fein auf dich, ja?

aller liebste auch von meiner anderen, vielleicht sogar besseren (?) hälfte.

ich denk an dich,anna

Anonym hat gesagt…

Lieber Muskelmann,
Fleisch ist mein Gemüse aber nach deinen Berichten esse ich irdenwie jedesmal weniger von meinem Gemüse als sonst. Schön das es finanziell wieder Bergauf geht, selbiges passiert bei mir auch, natürlich sehr langsam aber immerhin geht es Aufwärts. Bei mir ist sonst alle sin Ordnung außer das mich Weihnachten extremst nervt und ich froh bin wenn das vorbei ist. Bis die Tage.

Anonym hat gesagt…

ich glaube jetzt bist du so richtig in neuseeland angekommen, denn wenn dir einer einen job als schlechter in dresden angeboten hätte, so währe dein kommentar(bist du blöd) oder so ähnlich
ja so ist das leben man weis nie wie es kommt
bei uns ist es weihnachtlich wir essen viel stolln und trinken reichlich glühwein
also bis bald, einen schönen vierten advent wünschen wir euch
die hütte

Anonym hat gesagt…

los! mehr! mehr! mehr!
mir wird schon langweilig. =)