Eindeutschen an drei Sonntagen – ein Halbzeit-Rückblick

Müde und glücklich kuschel ich mich in meinen Sessel. Gerade gab es das Sonntagsessen „Beefsteaks“ - Hmmmmm... lecker! Ich habe mir heute mal die Zeit genommen, in aller Ruhe einzukaufen, mein Zimmer etwas zu säubern, das Geschirr von vor einer Woche abzuwaschen und mich zum Schluss mit einem leckeren Essen sowie einem deutschen Bier zu belohnen.

Dabei fiel mir dann auf, wie sehr ich meine Umgebung inzwischen an mich angepasst habe und wie wichtig mir das ist. Alles um mich herum wird vertrauter und vertrauter – nicht weil ich mich daran gewöhne, sondern, weil ich es nach meinen Möglichkeiten hier so gestalte.

Das fängt zu allererst beim Essen an. Die neuseeländische Küche ist zwar nicht schlecht, aber man schmeckt ihr doch an, dass sie einen sehr starken englischen Einfluss hatte. Meine Einkaufstouren führen mich deshalb jetzt meist in drei oder vier verschiedene Kaufhäuser, da es dort immer irgendwas Deutsches gibt: Toffifee, Becks, Caro Kinderkaffee, Pancakes die wie echte Eierkuchen schmecken usw.

Ansonsten sind die Kaufhäuser hier verdammt gleich – ein Großteil der Produkte unterscheidet sich nur durch die Verpackung. Eine echte Auswahl gibt es nicht – neue Produkte gibt es nur sehr sehr sehr selten. Das liegt unter anderem daran, dass der Import von Lebensmittel sehr streng kontrolliert wird, da Neuseeland sich auf Nahrungsproduktion spezialisiert hat und die inländische Wirtschaft schützen möchte. Ist zwar schön und gut für die Arbeitsplätze, aber als verwöhntes deutsches Kind mir jetzt nach einem halben Jahr schon die Abwechslung. So langsam kann ich nachvollziehen, was es für eine Umstellung für die zwei Generationen vor mir gewesen sein muss, als die Mauer fiel.


Wie man im Videoblog sicher hören konnte, ist mein Leben inzwischen um einiges ruhiger geworden. Das schont zwar meine Nerven, birgt aber auch Langeweile. Diesmal haben ich von meinen vier freien Tagen ganze drei als „Sonntag“ missbraucht. Sonntag – der Tag nach der Wochenendparty, der Tag vor dem ersten Arbeitstag – ist toll, aber unspektakulär. Ich habe also mein Zimmer auf Vordermann gebracht, Filme geguckt, zwei neue Möbelstücke aufgestellt und eingeräumt, Filme geguckt, schnelles Essen (alles was man ohne großes Zutun im Ofen oder in der Mikrowelle zubereiten kann) besorgt, Filme geguckt, schnelles Essen gegessen, Filme geguckt und alles das, wofür man sich sonst nie Zeit nimmt (eingangs bereits erwähnt).

„Es ist fast wie zu Hause – nur halt eben ganz anders.“, schoss es mir gestern durch den Kopf als ich die letzten Monate Revue passieren lies:


Ich bin im Juli noch mit Reisebegleitung in die Niederlanden gefahren – der Urlaub vor dem Urlaub sozusagen. Wegen einer Hochzeit in Berlin bin ich dann doch etwas eher wieder zurück nach Dresden, um die letzten Vorbereitungen für das Neuseelandjahr zu treffen und mich nochmal an der praktischen Fahrschulprüfung zu versuchen... Rückwärts Einparken in Parkbuchten mit abgesenktem Bordstein ist nicht mein Ding – musste also leider Gottes ohne Führerschein losgehen. Ging's dann auch. Mit Mama und Oma nach Berlin und nur mit der Mama im Schlepptau im großen Gütertaxi durch Berlin. Für den Gütertaxifahrer war es was ganz Ausgefallenes auch mal menschliche Fracht zu verschippern – im Rückblick ist das für mich inzwischen so ausgefallen wie der Sack Reis in China, der ständig umkippt. (Wir mussten auf das Gütertaxi zurückgreifen, da ich ja noch das Fahrrad, was ich unter viel Gezeter in Holland bekommen habe, undbedingt mitnehmen wollte). Der Abschied war dann recht kurz und schmerzlos – essen konnte ich trotzdem nicht wirklich was. Ist schon was anderes einfach mal so für „Lange“ weg zu gehen.

Von Berlin ging es dann mit einigen kleinen Abenteuern nach Watertown, Süddakota. Die Zeit dort verging wie im Flug – ich fühlte mich auch nicht wirklich, als ob ich von zu hause weg wäre.

Kurzer und ebefalls schmerzloser Abschied folgten – ab ging es mit Rad und Rucksack zum Flughafen (welchen Spaß ich mit dem Rad hatte, kann man in der Bildergallerie bewundern). Die Fliegerei ging wieder los – damit fingen auf einmal dann auch Geldprobleme an, da ich meine einzige Geldquelle – die Kreditkarte – überzogen hatte (Eigentlich waren es ja die Buchhalter von Amazon, die da einen Monat zu spät abgebucht hatten.). Die Geldnot wurde dann nach dem Flug ein echtes Problem und nahm mir am ersten Tag in Neuseeland jegliche Lust auf das Land – zum ersten und wahrscheinlich auch letzten Mal. Der Tag war aber so wichtig für mich. Seit diesem Tag konnte meinen Optimismus hier nie wieder etwas bremsen. Seit eben diesem Tag fühle ich diesen Kiwifrohsinn und finde für jedes Problem eine (einfache) Lösung – das ist ein tolles Gefühl!

Die Zeit von da bis jetzt habe ich mich dann nur in einer Region (Taranaki) rumgetrieben und die verschiedensten Arbeiten ausgeführt. Genauso wie ich es wollte und doch ganz anders. Eigentlich wollte ich ja überall mal jobben und dann auf einem großen Pendelschiff arbeiten, dass von Neuseeland nach Australien übersetzt (und wieder zurück), die letzten drei Monate sollten dann von einem Schaffarmerleben geprägt sein.

Bis jetzt habe ich aber dann doch (nur) auf einer Kuhfarm gearbeitet (was im Nachhinein ein wahnsinnig tolle Erfahrung war und an meinen freien Tagen hin und wieder mal wieder ist – ich kann einfach nicht ohne meine Kälber – inzwischen kann ich alle möglichen Jobs auf der Farm auch aus dem FF), bei YMCA den Sportanimateur für die Kinder gemacht, Spargel geerntet (nie wieder!), Blumen für den Export geerntet, bzw. Gepackt und zu guter Letzt meinen Neuseeland-Lieblings-Arbeitsplatz gefunden: Riverlands – das Schlachthaus in dem ich inzwischen schon seit 5 Monaten mit voller Freude Vollzeit arbeite. Neben meinem ersten Tag in Neuseeland hat mich wohl nichts so geprägt wie die Arbeit als Packer. Mal davon abgesehen, dass mir die Arbeit aus meiner finanziellen Krise geholfen hat. Im November hatte ich ja dann nur noch 60€ auf meinem deutschen Konto und eigentlich kein neuseeländisches Bargeld mehr. Das hat mich und Mary dazu gezwungen mit 2$ (etwa 1€) pro Tag (wochenlang) auszukommen. Inzwischen habe ich meinen Rückflug mit extra Urlaub auf den philippinischen Inseln gebucht, ein eigenes Auto und das erste zur Hälfte, ein Zimmer in einer WG im Herzen der „Stadt“ gemietet und das sogar inzwischen möbliert.

Ich habe seit November wirklich von null eine Existenz aufgebaut – das ist im Rückblick für mich immer noch vollkommen surreal und fern. Ein absolut unglaubliches Gefühl.

Das dieser Prozess im weiter voran schreitet habe ich ja ganz am Anfang erwähnt: nach dem alle „Grundbedürfnisse“ abgedeckt wurden, wird nun alles geformt – so dass es einem echten zu Hause gleicht.


Wer jetzt denkt, dass ich mich so wohl fühle, dass ich vielleicht gar nicht mehr nach Hause komme, dem kann ich kiwilike sagen: „Denkste!“ Während der ganzen Zeit habe ich eine doch sehr regelmäßige Verbindung nach Hause gehalten – zu Familie, Freunden und Bekannten. Und genau diese Leute haben die Zeit erst so toll gemacht. Ich hatte in der gesamten Zeit nie das Gefühl von Heimweh, weil genau von dort ständig vollste Unterstützung da war. Ich war also trotz der knapp 20.000 km Entfernung nie alleine und konnte immer um Hilfe und Rat fragen.


Einen ganz ehrlichen und herzlichen Dank an alle, die mich bisher auf meiner Reise unterstützt haben.


Ich habe jetzt grob gesehen die Hälfte meiner Reise hinter mir. Noch knappe 2 Monate Arbeit liegen vor mir – danach kommt wieder das große und ungewisse Reisen. Mary hat das ja auf ihre Art und Weise vollkommen überraschend abgehandelt – ich seh' mich aber schon wieder in irgendwelche unglaublichsten Dinge hineinschlittern. Trotz dieser Befürchtungen (die ich irgendwie freudig erwarte) steht da nur wieder ein großes Fragezeichen. Ganz willi-typisch lass ich nämlich wieder alles vollkommen planlos auf mich zukommen.


Fragen und Antworten:


@anke: und genau wie diese mischung aus musik und stimmenlage, so ist auch das leben mit den drein.
@mama: ich hoffe, dieser eintrag räumt jeglichen zweifel bei seite - mir gehts wirklich verdammt gut! dass meine mama meine stimme nicht mehr wirklich wieder erkennt, schiebe ich jetzt einfach mal auf die verzerrung, die bei einer solchen distanz der übermittlung auftreten ;-)
@veli: ich wollte wirklich erst ein rotes auto kaufen - leider oder auch zum glück hat mir da die versicherung einen strich durch die rechnung gemacht, weswegen ich am ende das im video gezeigte schnuckeliche gefährt gekauft habe - bilder sind noch in meiner gallery - rechts einfach auf die diashow klicken.
@stigandr: anders als man auf den ersten blick vermutet: genügend. warnhinweise gibt es in neuseeland verdammt wenig - so ein balkon verdient erst recht keins... aussicht dranmalen... hm - gute idee, kommst du mal eben vorbei? bekommst auch das gästebuchmaltool von mir ;-)
@ruben: wenn man alle auf einen haufen trifft, dann sind die philippiner wirklich immer am essen - hat für mich nur vorteile: essen ist immer da.
@anonym: vielen lieben dank für den kommentar und... (hey, bitte zu ende schreiben ;-) was kommt nach dem "und"? und wer bist du? - liebe kommentierende: ich freue mich wirklich über jeden noch so kleinen kommentar, aber wenn mir der name fehlt isses nur halb so schön)
@clemens: freut mich, dass es dir gefällt. bleibt aber ganz sicher eine ausnahme ;-)


Ganz typisch gibts zum Schluss noch was in eigener Sache: Schäuble!!! Ich bekomme ja immer nur die Hälfte von dem mit, was zu Hause passiert, aber bitte was lasst ihr da mit euch machen?! Dass Google und Co. die Nutzer ausspionieren... nunja - die bekommen ja nur so viele Informationen, wie man ihnen gibt. Aber der Stasi-Wolfgang will auf Grund von amerikanischer Terrorparanoia das Grundgesetz für alle Bürger einschränken. Das betrifft auch nicht nur irgendwelche Computerfreaks, wie mich, das betrifft jeden Bürger.

Stäubles Gesetztesentwürfe (die ja, da sie gegen das Grundgesetz verstoßen, abgelehnt wurden, jetzt anders formuliert nach und nach durch die Instanzen gepeitscht werden) machen aus jedem von uns einen potentiellen Verdächtigen und berauben jeden massiv an Rechten.

Eigentlich habe ich an Politik im großen Rahmen das Interesse vollkommen verloren - aber die Nachrichten, die auch mal bis zu mir schwappen sind mir dann doch eindeutig zu hart.

Wer sich informieren will, kann ja zum Beispiel mal diese Beiträge lesen:


Schäuble! Wegtreten!

heimliche Onlinedurchsuchungen


Das Ganze ist sicher auch nur der Anfang, wenn man es passieren lässt. Und da ich im Ausland gemerkt habe, wie schön das Inland ist, fände ich es verdammt schade irgendwann wirklich auswandern zu müssen! Ich bitte alle Blogleser eindringlichst sich min. die 5 Minuten zu nehmen, um sich kurz über das ganze Thema zu informieren. Danke für die Aufmerksamkeit!

6 Kommentare:

Hasselhoff hat gesagt…

Ach ja der Stasi 2.0 Schäuble. Naja, was willst du denn dagegen machen? Demonstrieren tut eh niemand weil alle auf ihrer Couch sitzen und chips fressen. Zweitens machen die in BErlin eh was sie wollen und nicht was für das Volk von interesse ist da würden glaubich auch selbst demos inzwischen nicht mehr helfen. Die deutsche Politik ist verdorben und interessiert sich einen scheißdreck für das Volk.

Wie dem auch sei, ich finds schön das es dir gut geht aber hauptsächlich finde ich es krass wie schnell die Zeit doch vergeht. Nicht mehr allzulang und du bist bereits wieder hier. Unglaublich. Ob du nun nochmal auf einem Schiff arbeitest oder da bleibst wo du jetzt bist musst du selbst entscheiden. Ich kann nur sagen nimm mit was du mitnehmen kannst aber die hauptsache ist du fühlst dich wohl.

Gerhard Koepke hat gesagt…

Zum Schäuble muss man nix mehr sagen. Bekommen wir ja alles mit.

Und schön, dass es bei dir so reibungslos läuft (bis jetzt). Und die ungewisse Zeit bekommst du auch noch rum.

thg hat gesagt…

schäuble... sign.

der eintrag ist voll schön. hab ich wirklich gern gelesen. irgendwie... beeindruckend. toll :)

Anonym hat gesagt…

Fünf Monate bist du schon bei Riverlands ?? Time goes by...Jetzt klingt alles so normal. Ist sicher nur die Ruhe vor dem Sturm.Aber du bist ja allwettererprobt.Ich freue mich, dass es dir wirklich gutgeht. Das Video erschien sehr ernst.
Liebe Grüße von Veli

Anonym hat gesagt…

gruss aus italy von der mama! hier erscheint werbung fuer eine italien. rechtsanwaeltin auf deinem blog. krass. die welt ist klein geworden dank internet.allerdings hab ich hier lange nach einem internetcafe gesucht . ich wuerde dir gerne etwas sonne senden von hier.

Anonym hat gesagt…

Ich muss mal nachträglich kommentieren:
Dieser Eintrag war mal wieder sehr erfreulich nach dem Video-Blog... :)