Suche ich die außergewöhnlichen Ereignisse? Suchen Sie mich? Es gibt Tage, da denke ich, dass es nun endlich ruhig wird. Das wäre zwar schade für den Blog, aber doch angenehm erholsam für mich. Heute sollte einer dieser Tage sein. Auf dem Plan stand Kälber füttern, Kälber und Kühe auf der anderen Farm auf eine neue Weide bringen und dann ebenfalls füttern, eine Kuh separieren, da sie geschlachtet werden soll und anschließend nach dem Mittag nochmal Kälber füttern. Das klang für mich sehr entspannend.
Aber wie so oft, durfte ich recht schnell erfahren, dass sich hier nichts planen lässt. Kaum hatten wir die eine Kuh aussortiert, kam auch schon der Fleischer. Bewaffnet mit einem sehr scharfen Messer, einem Gewehr, einer Säge und einer Kettensäge machte er sich über die Kuh her. Ein sehr interessantes Spektakel. Es dauerte nicht einmal eine Stunde, und die Kuh war erledigt, in verwertbare und nicht verwertbare Teile getrennt und gehäutet. Dabei hat sich der Fleischer auch kaum mit Blut bekleckert. Ich war begeistert von der schnellen und sauberen Arbeit.
Da teilte Jenny mir den Aufgabenwechsel mit – ich muss die Kuh beerdigen. Ich hatte bereits Erfahrungen mit dem Erdreich machen dürfen und wusste so, dass es eine sehr anstrengende Arbeit sein würde. Hinzu kam, dass Jenny mir mitteilte, das Erdreich auf der Farm sei wesentlich fester und mit mehr Steinen versehen, als der Platz an dem ich zuletzt buddeln durfte. Ich handelte als Bedienung noch schnell eine Tasse Tee und ein warmes Mittag aus. Und nach dem Mittag ging‘s dann auch gleich gestärkt ans Werk. Bewaffnet mit Spaten, Schaufel und Spitzhacke stach ich erst kleine Quadrate aus dem Rasen –damit ich ihn später problemlos wieder zurücksetzen kann- und fing dann an tiefer zu graben. Das Loch sollte 2 mal 2 Meter werden und etwa 70cm tief werden. Nach etwa einer Stunde war ich bei etwa 357.917 Steinen, die ich mit der Spitzhacke getroffen hatte und nur 30 cm tief. Dennoch voller Elan und mit viel Energie schwang ich Hacke über meinen Kopf und versuchte sie so tief wie nur irgendwie möglich in die Erde zu schlagen. Auf einmal zischte es. Ich sprang erschrocken aus dem Loch. Mein Körper reagierte in dem Fall wesentlich schneller als mein Kopf, denn der teilte mir erst nach dem Sprung mit, dass es eine Gas- oder Elektroleitung gewesen sein könnte. Wäre es eine Elektroleitung gewesen, wäre ich vermutlich schon etwas brauner und läge neben der Kuh schoss es mir durch den Kopf. Ich kam nicht dazu weiter über die Möglichkeiten nachzudenken, denn nur ein Blinzeln nach dem Rettungshüpfer spritze mir eine Ladung eiskalten Wassers, Schlamms und Kuheingeweiden ins Gesicht. Eine Wasserleitung also… Toll!
Die Leitung verlief genau mittig durch mein Loch – wie hätte es auf dieser riesen Weide auch anders sein sollen?! Wenn Willi ein Loch buddelt, dann genau dort, wo eine nicht markierte Leitung verläuft. Aber ich war insgeheim etwas stolz darauf, dass ich noch immer mit genügend Power arbeitete. Da ich ohne fahrbaren Untersatz auf der Farm zurück gelassen wurde, hieß es nun zu Fuß nach Hause watscheln und dort um Rat bitten. Meine Füße nahmen mir das etwas übel, da ich meine Ausweicharbeitsschuhe anziehen musste (die anderen waren immer noch nass – es regnet momentan wirklich sehr viel) und diese minimal zu klein sind. Minimal bedeutet in diesem Fall nur 3 bis 4 amerikanische Schuhgrößen. Auf dem Weg konnte ich regelrecht spüren, wie die Blase an meinem rechten Fuß reifte.
Kaum auf der heimischen Farm angekommen bin ich auch schon wieder mit Jenny im Auto zurück zur anderen Farm um den Schaden zu begutachten. Ich tat mir selbst aber noch schnell was Gutes und wechselte die Schuhe. Diesmal zog ich meinen guten Doc Martins an… egal, Hauptsache die Füße tun nicht so weh. Und um die Blasen an meinen Händen zu bedecken, schnappte ich mir noch ein paar Handschuhe – eine sehr weise Entscheidung.
Das Wasser spritze nur noch mäßig aber beständig aus der Leitung. Jenny versuchte bei dem ursprünglichen Besitzer des Geländes telefonisch Informationen zu dieser Leitung zu bekommen. Soweit ich das verstanden habe, ist es die einzige Wasserleitung im Umkreis von 5 km und gilt als Hauptabwasserleitung der Getränkenäpfe aller angrenzenden Farmen. Ich habe wirklich ein goldenes Händchen. Vielleicht sollte ich mein nächstes Jahr in der Wüste verbringen? Wir entschieden, dass ich weiterarbeiten könne und Jenny fuhr zurück zur Farm und ich buddelte fleißig weiter. Jon sollte am Abend dann die Leitung reparieren. Gegen 6 Uhr hatte ich dann endlich das gewünschte Loch – ich hatte noch ein bisschen tiefer als einen Meter gegraben, da der Kuhschädel sehr groß ist und in meinen Augen sonst nicht tief genug unter der Erde gelegen hätte.
Zurück auf der heimischen Farm wollte ich mich dann etwas ausruhen. Ich hatte die ganze Zeit meine Arbeit durchgezogen. Mir ist so warm geworden, dass ich letztendlich –trotz der etwas kühlen 16° Celsius- nur noch in vollkommen durchnässten Hosen gearbeitet habe. Ich hatte mich mit der Ruhepause aber schon wieder getäuscht, denn Jon war da – also mit Jon zurück auf die andere Farm, Leitung reparieren – das ging sehr schnell – schneller als mir lieb war. Ich konnte also endlich die Kuheingeweide verbuddeln. Mit frischer Motivation, die nur leicht von den Schmerzen an Händen, Füßen und im Rücken gebremst wurde, bewegte ich den Kadaver zum 10 Meter entfernten Loch. Ich versuchte es zumindest. Die Kuh hat 550 Kilogramm gewogen. Der Schlachter hat 270 Kilogramm gutes Fleisch mitgenommen. Blieben also 280 Kilogramm Eingeweide, Kopf und Beine. Wenn Kopf und Beine 50 Kilogramm wiegen und der Mageninhalt, den ich auf dem Rasen verteilt habe, um die 70 Kilogramm, dann bleiben ganze 150 Kilogramm Eingeweide, die auf unmöglichste – aber natürliche und somit sehr zähe- Art und Weise verbunden waren. Teilchenteilung via Spitzhacke führte nur sehr selten zum Erfolg, so dass ich mir Gedanken machte, wie ich diesen Riesen-Darm (der aussah, wie eine fertige Würstchenkette) samt 4er-Magen und restlichen Organen, die ich nun endlich plastisch sehen konnte, in das Loch bekomme. Die Spitzhacken erwies sich als Haken sehr nützlich, so dass ich zwischen Lungen und Magen einhakte und mit sehr sehr sehr viel Kraftaufwand diesen Matschhaufen über die Wiese schleifte. Nach 2 Metern (für die ich knapp 5 Minuten brauchte) riss die ausgesuchte Stelle und ich nahm ein Blutbad… Neue Stelle am Darm gesucht und weitergeschleift. Nach einer guten viertel Stunde und einem Meter vor dem Loch gingen mir die Ideen für günstige Stellen zum Einhaken und Ziehtechniken aus. Schieben war mir dann doch etwas zu eklig, da der Kadaver schlimmer roch, als ein handelsüblicher Kuhfladen. Also habe ich es dann mit 2 Schaufeln irgendwie geschafft, den Haufen ins Loch zu kippen. Gespenstig starrten mich die toten Augen des Schädels an. Über dem Kopf hing etwas Darm.
Ich machte mich dann dran, das Loch wieder zu verschließen. Ich dachte irgendwie das wäre schnell erledigt, aber ich konnte erst halb neun im Sonnenuntergang mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Mir tut alles – wirklich alles – weh. Ich freue mich jetzt auf ein bisschen Internetsurfen, gefolgt von einer sehr warmen Dusche, einer weiteren Tasse heißen schwarzen Tee mit viel Milch und Zucker und abschließend einem verführerisch warmen Bett, in dem ich mich einkuschele und zum Einschlafen noch Musik höre.
Liebe Leser – bitte kauft Würste, Steaks und andere Fleischprodukte nicht von Biobauern. In diesem Fall muss irgendein Dorftrottel nämlich den ganzen Mist vergraben – und das ist wirklich ein Scheißjob! Immerhin haben sich Jon und Jenny heute bei mir für diese Arbeit bedankt… Das macht mich neben der körperlichen Verausgabung sehr stolz.
Es ist inzwischen dunkel und mir springt seit heute Nachmittag immer noch diese Frage durch den Kopf: Warum? Warum muss ich die einzige Leitung in diesem riesen Gebiet treffen? Liest Gott oder das Schicksal etwa auch meinen Blog? Wenn dem so wäre, dann wäre es trotz dieser Ereignisse doch für den Auslöser nicht spannender… Ich glaub ich schnapp mir jetzt noch ‘nen Tee und seh‘ zu, dass ich ins Bett komme!
Es will einfach nicht aufhören!
Nach dem ich ins Bett gekommen war, hatte ich einen sehr freundlichen Tag mit Jenny und musste auch nur 4 Stunden arbeiten. (4 bis 6 Stunden sind der WWOOFER-Rahmen – meiner war 6 bis 8 Stunden.) Der Tag darauf wollte mir dann auf Grund allgemeiner Gliederschmerzen (Muskelkater in Armen und Beinen, Blasen an Händen und Füßen sowie diverse Schrammen und Schnittwunden) immer noch nicht so richtig gefallen, weshalb ich entschied, einfach mal ne halbe Stunde länger im warmen Bett liegen zu bleiben. Das war dann aber anscheinend – gekoppelt mit dem schlechten Wetter – der Auslöser für Jennys erneute Stimmungsschwankung. Ich hatte gefrühstückt und machte mich daran die Kälber zu füttern und umzuschichten – sie brauchten eine neue Weide – als mir doch nicht wirklich einfiel zu fragen, ob ich die Fressnäpfe mit auf die neue Weide nehmen solle oder beim Wassertrog, zu dem die Kälber natürlich Zutritt hatten, lassen solle. Für mich war das eine logische und vollkommen begründete Frage, da solche Entscheidungen immer von Jenny getroffen wurden und nie einen wirklichen Grund hatten, vielmehr aus Lust und Laune getroffen wurden. Jenny sah das aber an diesem Tag völlig anders und ich sollte mir eine sehr unfreundliche und lange Antwort gefallen lassen. Diesmal war‘s mir dann aber wirklich zu viel. Ich drehte mich um brachte die Arbeit zu Ende, kümmert mich allein um die andere Farm, um Jenny für den Rest des Tages aus dem Weg zu gehen und beschloss anschließend, dass ich schnellstmöglich abreise. Ich hatte die Tage zuvor darauf hingearbeitet, dass ich an diesem Abend für das Abendessen verantwortlich war, was mir viel Freizeit verschafft und alle im Haus sehr fröhlich stimmt. Also konnte ich mich ab mittags in die Küche verkrümeln und nebenbei das Internet nutzen. Jenny hatte beschlossen, dass es an diesem Tag keine weitere Arbeit für sie auf der Farm anfällt und verschwand mir ihrer Tochter zum Shoppen. Das war mir mehr als recht.
Ich machte mich also an „Mousse au chocolat“ und gefüllte Paprikaschoten und suchte mir nebenbei im Internet meine nächste Bleibe raus. Nachdem ich alles vorbereitet hatte und nur noch die Paprikaschoten im Ofen hätte betreuen müssen, fiel Jenny dann doch noch etwas ein, bei dem ich „helfen“ musste: Füttern! Jenny fütterte die Kälber im Stall und ich wurde gebeten die Kälber auf den Weiden zu füttern – wäre auch nicht weiter schlimm gewesen, wenn es doch nur nicht in Strömen geregnet hätte. Regen in Neuseeland bedeutet meistens, dass man trotz Regensachen pitschenass ist, wie auch in diesem Fall.
Das Abendbrot servierte ich dann etwas mürrisch, aber stolz – es war mir alles vollends gelungen. An den Gesichtern der drei Dowmans konnte ich meinen Erfolg dann auch buchstäblich ablesen. Als dann alle glücklich und satt waren, verkündete ich fröhlich, dass ich am nächsten oder übernächsten Tag abreisen werde. BAMM – das saß! Jenny fiel die Kinnlade so herrlich herunter, dass ich mich anstrengen musste ein leicht betrübtes Gesicht zu machen, da ich doch noch immer in meinem Stolz verletzt war und irgendwo tief im Innersten ein bisschen schadenfroh bin.
Jennys gute Laune war nach dieser Nachricht im Nu verflogen, da sie nun wusste, dass die nächsten Wochen wirklich anstrengend werden würden. Es scheint momentan in Taranaki kaum WWOOFER zu geben. Ich zog mich in mein Zimmer zurück und fing an meine Sachen zu packen, allerdings lächelte mich mein kaltes Bettchen bald so verführerisch an, dass ich nicht weit kam und einschlief. Am nächsten Tag, wurde mir von Jenny gleicht die komplette Kalbsmannschaft zum Füttern zugeteilt, was mich einige Stunden beschäftigte. Aber Jenny hat das dann eher als Abschiedsgeschenk für mich gedacht, denn ich konnte nochmal ausführlich das Driften im Matschen mit dem ATV praktizieren und allen tierischen Freunden ein Lebewohl wünschen. Danach packte ich dann aber meine Sachen endgültig zusammen. Zwischendurch wurde ich von Jenny mit einer sehr leckeren abgewandelten Form der Quarkkeulchen bedient. Nachdem alles gepackt war, ich mich vollgefressen hatte und Jennys und Jons Tochter abgereist war, saßen wir noch lange zusammen im Garten und plauderten über alles Mögliche. Auf einmal war alles sehr freundlich und angenehm, um nicht zu sagen sehr herzlich. Ich bekam sogar noch eine Kette von den Beiden geschenkt und durfte zum Abschied alberne Fotos mit Ihnen machen. Jenny bot mir noch an, mich zurück in die Stadt zu fahren, aber ich wollte mal wieder ein bisschen Training auf dem Rad genießen. Nach einer sehr langen Abschiedszeremonie mit waschechter Kiwi-Umarmung ging‘s dann auch los: Despo war wieder on Tour!
Nach gut zwei Stunden wirklich sehr anstrengender Berg- und Talfahrt (mehr Berg als Tal) kam ich dann bei John und Brenda an. John und Brenda habe ich über couchsurfing.com kennen gelernt. Das Bild im Internet verriet ein etwas älteres Ehepaar, welches mir kostenlos ein Bett zur Verfügung stellen wollte. Die Adresse habe ich mir dann noch schnell im Telefonbuch gesucht (Ich habe wiedermal kein Geld auf dem Handy und außerdem ist Englisch-telefonieren etwas sehr anstrengendes, deswegen wollte ich erstmal nur Hallo sagen und alles Weitere besprechen.) Das Foto lies mich auf eine ruhige und erholsame Zeit bei zwei Beinahe- bzw. Bereits-Rentnern schließen.
Ich klopfte an die offen stehende Tür und eine sehr rauchige Stimme begrüßte mich und bat mich einzutreten. Da ich trotz der rauen Stimme erkennen konnte, dass es sich um eine weibliche Stimme handelt, schimmerte mir, dass das Bild was ich mir zuvor geistig von Brenda gemacht hatte vollkommen falsch war. Als ich Brenda dann vor mir sah, war ich mir zu hundert Prozent über diesen Fehler sicher. Noch ehe wir die ersten Worte gewechselt hatten war mir klar, dass dieser Aufenthalt ein neues Abenteuer ist.
Sie waren von meiner Ankunft zwar vollkommen überrumpelt, hatten das Bett aber so schnell hergerichtet, dass ich gar nicht dazu kam, irgendwas zu erwidern. Also wohnte ich nun bei den Hubbards. John war im Übrigen auf den ersten kurzen Blick, genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: ruhig, groß, weiße Haare – eine Mischung aus dem Weihnachtsmann und Robin Williams. Aber auch in ihm sollte ich mich etwas getäuscht haben…
Nachdem wir über allgemeine Dinge geplaudert hatten, boten mir beide an eine kleine Stadtführung zu unternehmen, da ich bisher noch nicht viel von New Plymouth gesehen hatte. Freudig stimmte ich zu packte meine Kamera ein. Draußen vor der Garage meinte Brenda dann zu mir, ich könne mir raussuchen, mit welchem Auto wir fahren. Ich meinte, dass mir das vollkommen egal sei, stockte allerdings bei den letzten Worten, da ich nun die Autos sehen konnte. Das rechtere Auto war ein stinklangweiliger Honda, das rechte Auto hingegen war ein Original 72er Holden Monaro – ein echtes Muscle Car – ein Männer-/Kindheits-Traum wurde war. Jetzt verstand ich auch, warum Brenda mit einer Holden-Racing-Jacke rumlief und im Haus überall Poster von Autos hingen. Der Holden läuft als umgebautes Hybrid-Auto mit Gas und bzw. oder Benzin, was sowohl umweltfreundlich als auch günstig ist. Ich entschied mich also sofort für den Holden und los ging die Spritztour. Ich kam auf der ganzen Fahrt aus dem Grinsen nicht mehr raus – ein herrliches Gefühl in so einem Auto zu sitzen. Und John zeigte auch hin und wieder, dass er es liebt so ein Kraftprotz zu steuern.
Unser erstes Ziel war „The Rock“ ein kleiner Berg direkt am Meer, den man besteigen konnte. Keiner von Beiden wollte mit nach oben, rieten mir aber, dass ich doch mal nach oben gehen sollte… der Aussicht halber. „8 Minuten“, meinten sie noch zu mir als ich losstiefelte. „8 Minuten was?“ – „Unser Rekord“ Na das sollte doch zu schaffen sein. Die Holzstufen hatten genau die richtigen Abstände und ich war recht gut trainiert. Ich nahm also zwei Stufen auf einmal und zog mich am Geländer, so dass ich recht schnell das Ende der Treppe erreichte. Es ging nun weiter über Steinstufen nach oben – zur Hilfe stand ein einsames Stahlseilgeländer. Auch hier dachte ich mir noch immer, dass die 8 Minuten ohne Weiteres zu unterbieten wären… Ich erreichte die Hälfte des Aufstiegs, als mir klar wurde, dass ich (wieder ein mal) gewaltig getäuscht hatte. Von der Hälfte aus musste man ungesichert nach oben klettern. Es war nie schwierig, aber verdammt gefährlich – es ging teilweise in drei Richtungen steil nach unten – 10 Meter und mehr. Meine Höhenangst war urplötzlich in voller Gewalt wieder da. Ein Blick zu meinen Füßen genügte und schwitze was mein Körper hergab. Mein „Überwindungs“-Stolz und die Gastfreundschaft der Hubbards zwangen mich dann aber doch bis auf den Gipfel. Ich benötigte natürlich wesentlich mehr als die 8 Minuten.
Erst als ich oben stand und mit einem unheimlich flauen Gefühl in der Magengegend versuchte die Aussicht zu genießen, fiel mir wieder ein, dass ich ja auch wieder nach unten musste. Mir wurde schlecht. Da war keiner der mir helfen konnte, ich hatte tierischen Schiss und musste aber dennoch wieder runter… Ich wagte einen Blick über die Klippe – Ich fühlte mich sofort noch schlechter. Ein Fehler beim Absteigen hieß einen sehr bösen Sturz riskieren. Ich stand also auf dem Gipfel und suchte verzweifelt nach einem Weg nach unten. Mir blieb am Ende dann nur der „Weg“ auf dem ich auch hoch gekommen war. Ich machte mir sehr eindringlich klar, dass Höhenangst nur eine Reaktion im Kopf ist und kletterte vorwärts und seitwärts den Abhang runter. Warum vorwärts? Ich hab keine Ahnung – wahrscheinlich wollte ich genau sehen was ich mache…
Als ich dann endlich wieder bei der Holztreppe war, merkte ich erst, wie sehr meine Knie zitterten und ich schwitze. Aber ich hatte es geschafft und war richtig stolz auf mich.
Zur Erholung brachten mich Brenda und John in den hiesigen Park „Pukekura“. Das ist der Park in dem hauptsächlich die Dreharbeiten zu „The Last Samurai“ liefen. Der Spaziergang war einfach überwältigend – Park ist hier eine Mischung aus Nationalpark und unseren Parks. Ein gepflegter Urwald mit riesigen Bäumen und Farnen, Wasserfällen und sehr harmonisch eingegliederten Erholzonen mit atemberaubender Blumen- und Pflanzenvielfalt. Wieder einmal viel mir nur das Wort „Kontrast“ ein um meine Situation beschreiben zu können. Menschen und Natur unterscheiden sich auf so kurze Distanz so extrem, dass man immer denkt, man würde ständig das Land wechseln.
Nach einem sehr ausführlichen Spaziergang ging es dann zurück nach Hause. Bei einem sehr leckeren Abendbrot wurde viel gelacht und erzählt. Die neuseeländische Küche ist im Übrigen der deutschen bzw. europäischen sehr ähnlich, allerdings gibt es viele kleine aber sehr bedeutende Unterschiede und Abwandlungen. Das hat mich heute dazu verleitet, mir das Kochbuch schlechthin zu kaufen. Ein Kochbuch, dass laut Brenda eigentlich jeder neuseeländische Haushalt besitzt und benutzt – die Verkäuferin im Buchladen hat mir das auch bestätigt.
Zurück zum Abendbrot. Beim Essen erfuhr ich, dass beide sehr gerne mal ein Gläschen Schnaps oder ein leckeres Bier trinken und deswegen alles für den Selbstbedarf brauen. Die dafür selbstgebauten Destillieranlagen sehen sehr lustig aus. Nach dem Abendbrot haben wir es und dann im Wohnzimmer gemütlich gemacht, Fernsehen geguckt und ich konnte nebenbei sogar im Internet surfen. Wie ich so meine eMails lese, rieche ich einen vertrauten süßlichen Geruch. Ich denke zuerst nicht weiter drüber nach, doch schließlich drehe ich mich verwundert um. Brenda zieht gemütlich an ihrer kleinen Haschischpfeife und John nuckelte an seiner Wasserpfeife – Marke Eigenbau. Jetzt war ich wirklich total verdattert. Brenda erklärte mir, dass sie sich den Rücken gebrochen hatte und deswegen sehr starke Rückenschmerzen hat und ihr Alkohol und Marihuana am Abend helfen die Schmerzen zu vergessen und besser einzuschlafen. John hat irgendwann angefangen auch ein kleines Pfeifchen zu rauchen und inzwischen ist es halt eine allabendliche Gewohnheit. Krass – einfach unbeschreiblich, auf was für Menschen ich hier treffe.
Die Überraschung war kaum verflogen, als John mich recht locker über seine „Bilderchen“ auf dem Rechner aufklärte. „Erwachsenen-Bilder“. Ich solle nicht schockiert sein, wenn ich sie irgendwo sehe.
Ich erinnerte mich daran, dass ich John vor noch wenigen Stunden für einen gemütlichen Weihnachtsmann-Verschnitt gehalten hatte. Wie man sich doch täuschen kann.
Da ich über Couchsurfing zu den beiden gekommen bin, hatte ich als Bett nicht viel erwartet – gerade nicht, nach meiner eiskalten Erfahrung auf der Farm. Meine Couch war allerdings ein Queensize-Bett (nahezu ein Doppelbett) mit beheizbaren Matratzen. In diesem Bett durfte ich so lange schlafen, „bis sich meine Augen öffnen.“ Ich führe jetzt also mit einem älteren Pärchen ein sehr relaxtes Stadtleben. Kann tun und lassen, wonach mir ist und bekomme erstklassiges Essen serviert. Den dritten Tag genieße ich nun meinen wohlverdienten Urlaub (ich hatte in den 5 Wochen Farm kein Wochenende und konnte mir meine Freizeit nur schwer selber einteilen), als mich einer sehr lustige Idee überfällt: der Kindergarten. Ich brauch unbedingt noch ein Praktikum in eben einem solchen für mein Au-Pair-Jahr. Also bin ich vorhin zu YMCA-Kindertagesstädte gelaufen und habe mich einfach mal für eine Woche Hilfe beworben – morgen bekomme ich dann Antwort, ob ich diese Woche, am Wochenende und Anfang nächster Woche kleine Kiwis durch die Sporthalle schubsen darf. Ich wurde hin und wieder gefragt, ob ich denn Geld verdiene. Sowohl für das WWOOFEN als auch den Kindergartenjob bekomme ich kein Geld. Ich werde mich auch in den verbleibenden knapp 2 Wochen nicht um einen solchen Job kümmern bzw. kümmern können. Allerdings sind die Erlebnisse, Erfahrungen, Herausforderungen und der Fakt, dass ich den Ansatz eines Sixpacks erkennen kann für die ersten 1 ½ Monat Bezahlung genug. Sobald Mary da ist, werde ich mich allerdings schleunigst nach etwas Geldbringenden umschauen.
Das Lotterleben wird ein Ende haben… irgendwann!
Ich wurde bei YMCA angenommen und gehörte von da an zu den glücklichen Frühaufstehern. Naja was tut man nicht alles für die kleinen Hosenscheißer – hab ich mir gedacht. Als erste Aufgabe meines Praktikums hieß es Unterlagen unterschreiben. 150 A4-Seiten auf Englisch! Toll! Aber da ich nahezu alles auf Anhieb verstanden habe, ging‘s dann nach nur 2 Stunden Papierkram in meine erste Klasse. Dort stand mir –laut Steve, meinem Supervisor- meine wohl größte Hürde bevor: am Anfang und Ende jeder Klasse wird ein Lied gesungen. Wer mich kennt, weiß wie gerne ich singe: gar nicht! Aber am Ende war es dann gar nicht so schlimm, da wir nicht gesungen haben, sondern nur die Bewegungen zum Lied der Kassette gemacht haben… Springen, drehen, frieren, klatschen, trampeln, hüpfen, lachen, rennen, liegen, zittern und und und… ich habe mich wirklich zum Affen gemacht, aber wenn die ganzen Kinder sich freuen, ist das einfach egal und man freut sich selber!
Mein Über-8-Stunden-Arbeitstag umfasst jetzt das Aufpassen und Animieren der Kiwis von 1 ½ bis 14 Jahren, Auf- und Abbauen der Geräte sowie diverse kleine Aufgaben. Ich bin jeden Abend wirklich geschafft, aber es fühlt sich nicht wie Arbeit an.
Anfang der Woche ist dann noch ein weiterer Couchsurfer angekommen – ein Belgier, der allerdings nur auf der Durchreise war und zum Sightseeing Stop gemacht hatte. Einen Tag drauf kamen dazu noch eine Französin mit einem Deutschen an, so dass das Haus übervoll war. 2 Schlafzimmer und ein Wohnzimmer reichten natürlich vorne und hinten nicht, also teilte ich mein Zimmer mit… der Französin natürlich. Darauf mochte sie mich wirklich. Und zum ersten Mal seit meiner Ankunft wollte mir jemand schöne Augen machen. Auch wenn sie nicht hässlich war, wollte mir das Gefühl aber nicht so wirklich gefallen, da sie etwas älter als ich war. Mit „etwas“ beschreibe ich dabei einen Altersunterschied von 26 Jahren.
Tags drauf brachten dann die drei Europäer noch zwei weitere Gäste von ihrer Wanderung mit – 2 Österreicher! Das Haus war also viel zu voll, als ich von Arbeit kam, aber das störte keinen, da es selbstgebrautes Bier und selbstgebrannten Rum für umsonst gab und die zwei Österreicher sich sehr viel Mühe in der Küche gaben und für alle ein Abendessen zauberten.
Ich sollte bei YMCA dann noch erfahren, dass ich nirgendwo vor Verletzungen sicher bin. Wir räumten gerade alle Sportgeräte auf, als Steve aus Versehen den aufrecht stehenden Barren los lies. Ich war nahezu schnell genug um einem bösen Zusammentreffen zu entgehen… aber halt nur nahezu, denn der Barren traf das Geländer. Mit meinem Mittelfinger dazwischen. Der Nagel war sofort schwarz und schmerzte höllisch. Scheint aber nichts gebrochen und inzwischen kann ich damit schon wieder tippen, was ja die Hauptsache ist.
Gestern hatten sich alle Gäste auf Weiterreise begeben und dafür waren zwei Freunde von John gekommen um mit ihm und mir den gesamten Biervorrat zu vernichten. Als wir dann von der prallen Sonne im Garten in Küche wankten, war schnell zu erkennen, dass Brenda wohl eine enge Freundschaft mit dem Rum eingegangen war, so dass ihr das Abendessen-Zubereiten einige Probleme machte. Also habe ich mich schnell hinter den Herd bewegt und den Rest erledigt und meinem abendlichen Bierkonsum ein Ende gesetzt. Was aber weder für Brenda noch für John oder seine Freunde bedeuten sollte, dass sie aufhörten. Der Abend wurde lauter und lustiger, bis gegen ca. 12 Uhr keiner mehr stehen konnte und es auf einmal sehr schnell leise wurde. Alles schlief – sehr friedlich!
Wo ich auch hingehe – es wird einfach nicht ruhig… es sei denn, keiner kann mehr stehen!
Wenn ihr schon so lieb seid und mir einen Kommentar hinterlasst, verwendet doch bitte einen Namen, den ich zuordnen kann. Sonst kann ich mich gar nicht richtig freuen!
16 Kommentare:
Ich bin begeistert! Für mich -bis jetzt- der spannendste Teil deiner Reise. =)
the watcher
fürs lesen dieser berichte und die fotos habe ich gerade den kuchen anbrennen lassen! es wars absolut wert, meint
die mama
Dolle Sachen, die du immer erlebst.
Ich hoffe, du hast dem "dir bekannten" süßlichen Duft nicht nachgegeben! :D
Grüß mal Neuseeland.
P.S.: Die Diashow find ich doof...dauert mir zu lang. Will durchklicken können! ;-)
Ach, noch was: Geh gefälligst dahin, wo du was mit SCHAFEN erleben kannst! Du weisst bescheid! gnihihihihimuahahaha...ich muss weg!
Ich hätte sehr gern sehr viel mehr Fotos.
Von Jenny, Joann, der Franzoesin usw.
Und ganz vor allem - ganz besonders von DIR!
Küsschen von Anna's Freund :-*
Leider bin irgendwie immer ein sehr schlechter Kommentare abgeber, lag auch daran das mein PC zu hause eine weile lang defekt war deshalb hier endlich mal wieder eine Regung von mir. Ich finde es gut das du die wahrscheinlich interessanteste Zeit deines Lebens hast. Wirst du deinen Enkeln später ne Menge erzählen können. Weiter so... Gruß Ruben
also, ich hab mir dein bericht jetzt nicht ganz durchgelesen, das ist mir zur zeit zu viel und außerdem ist mein essen kalt geworden..
aber den ersten teil fand ich schon mal nicht schlecht...
es gibt nur eine wasserleitung, und genau die triffst du auch noch *lach* :D
das mit der kuh hast du doch nur so daher gesagt, oder? der hat die doch eigentlich nur etwas gestreichelt, richtig? ...
kannst mir vielleicht sogar bald ein paar erziehungsmethoden beibringen... ;-) bin gespannt!
fühl dich gedrückt
so ich habs komplett gelesen, aber die bilder hab ich mir nicht angeschaut...
das mit der wasserpfeife und so fand ich nicht schlecht.. ^^
und ich könnt nicht im kindergarten arbeiten, neee nie im leben!
lg!
Du hast mir grade mit deinem Blog mein Frühstück versüßt. Liest sich sehr schön und man liest gerne bis zum Schluss weiter. :)
Ich kann nur den Kopf schütteln, was dir so alles passiert... du solltest eventuell Wünschelruten-Ganger werden! ^^
Na dann noch etwas mehr Spaß bei selbstgebrauten Bier und avancierenden Französinnen. xD
Greetas!
Servus Willi altes Haus,
deine Berichte sind ja immer wieder ein Spass. Ich würde mich auch über mehr Bilder freuen!
Grüße
Sthu (ZFT)
hehehe... die aktion mit der wasserleitung ist ziemlich witzig :)
aber ehrlich - was du so erlebst... :D du scheinst immer das glück zu haben, in komischen situationen zu sein. *G
rock on dude! dont drink as much as brenda drinks ;)
uah.. willi... Kühe schlachten würg...
und du als Kinderanimateur? Ich glaubs nicht.... =)
hi cowboy
hast also das landleben hinter dir,
bist jetzt in der hippiezeit gelandet
und betreust die blumenkinder
mach weiter so und geniese jeden
glücklichen moment
die hütte
Hier spricht die andere Mama. Vielen Dank, dass du Maria ein bißchen an die Hand genommen hast. Nicht, dass ich ihr nicht zutraue, in einem anderen Land zu bestehen, aber daurch, dass du schon vor Ort bist, ging's bestimmt leichter. Also viel Spaß noch, tolle Erlebnisse und macht die Straßen nicht allzu unsicher (Maria ist 'ne rasante Fahrerin, würg!)
mama! das stimmt doch gar nicht! ich bin hoechst empoert :)- nur weil du dich strikt an 40 km/h haelst und nicht rueckwaerts einparken moechtest... ts ts ts... pass nur auf bis ich wieder zu haus bin :)
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